Kommentar

Die Kirche und ihre finanzielle Unabhängigkeit

Die Entwicklung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage von einem Häuflein Amerikaner am Rande der Wildnis zu einer weltumfassenden Glaubensgemeinschaft, die Millionen von Menschen Hoffnung verleiht, ist eine der größten Erfolgsgeschichten des 19. und 20. Jahrhunderts im Bereich der Religion.

Von Anfang an bewiesen die Mitglieder der Kirche eine erstaunliche Fähigkeit, geistige Ziele über das Materielle zu stellen. Eines der ersten Mitglieder der Kirche, Martin Harris, verpfändete seine Farm, damit das Buch Mormon veröffentlicht werden konnte. Es gibt unzählige Beispiele für die Selbstaufopferung der ersten Heiligen der Letzten Tage.

Die Mitglieder der Kirche wurden von Ort zu Ort getrieben – von Missouri nach Illinois und von dort an die äußersten Grenzen im Westen. Mehrfach mussten sie Haus und Hof und all die Ladengeschäfte aufgeben, die sie so liebevoll aufgebaut hatten. Als sie den letzten großen Zug über die Weiten der Prärie in die Rocky Mountains antraten, waren viele bereits völlig verarmt. Das ist schon daraus ersichtlich, dass viele nur mit einer Handkarre ankamen – sie konnten sich keinen Planwagen leisten.

 

Brigham Young meinte einmal, wenn es den Heiligen der Letzten Tage gelänge, zehn Jahre unbehelligt in den Tälern der Rocky Mountains durchzuhalten, würde ihre Unabhängigkeit unanfechtbar werden. Im Laufe der Zeit wurde Brigham Youngs Vision von einem sparsamen, unabhängigen und gottesfürchtigen Volk weitgehend Wirklichkeit.

Bis man finanziell vollständig unabhängig und schuldenfrei war, vergingen jedoch Jahrzehnte. Für die Historiker von heute ist der Anfang des 20. Jahrhunderts die Zeit, als die Kirche endlich die Wende schaffte und sich von den Schulden befreite, die jahrzehntelang auf ihr gelastet hatten. Insbesondere ist da eine Predigt von Lorenzo Snow zu nennen, dem damaligen Präsidenten der Kirche, in der er die Mitglieder aufrief, dem Grundsatz des Zehnten wieder mehr Beachtung zu schenken.

Der Zehnte ist ein alter biblischer Grundsatz, den viele Kirchen im Laufe der Jahrhunderte befolgt haben. Aus unabhängigen Studien weiß man aber, dass der Grundsatz des Zehnten nirgendwo in Amerika heute so verbreitet ist und so treu befolgt wird wie bei den Mitgliedern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Der Löwenanteil der Einnahmen, mit denen die Kirche unterhalten wird, besteht aus Zehntengeldern und nicht aus Unternehmens- oder Kapitalerlösen.

Der Zehnte ist also ein großer Segen für die Kirche und für ihre Mitglieder; mit ihm gehen wirtschaftliche Grundsätze einher, die einfach und gut sind – nämlich Schulden zu meiden, im Rahmen seiner Möglichkeiten zu bleiben und für schlechte Zeiten zu sparen.

Wer sich fragt, was es mit den Finanzen der Kirche auf sich hat, muss wissen, dass sie lediglich Mittel zum Zweck sind. Durch sie kann die Kirche überall auf der Welt ihren Missionsauftrag ausführen.

Besitzt die Kirche auch gewinnorientierte Unternehmen? Ja. Als die Kirche in der Anfangszeit ihrer Geschichte in dem abgelegenen Bergland im Westen allmählich heimisch wurde, blieb ihr oft gar nichts anderes übrig, als einige Unternehmen selbst zu gründen, weil es manches dort einfach noch nirgends gab. Als dann nach und nach mehr Privatunternehmen gegründet wurden und die Kirche nicht mehr selbst gefordert war, verkaufte sie ihre eigenen Unternehmen oder übergab sie an die Allgemeinheit oder stellte sie ein. Die Zions Bank und die Krankenhauskette der Kirche sind ein Beispiel dafür.

Heute dienen die Unternehmen der Kirche als Notreserve, um die Mission und die Grundsätze der Kirche zu unterstützen. Landwirtschaftliche Betriebe, die derzeit gewinnorientiert arbeiten, können jederzeit in Wohlfahrtsfarmen umgewandelt werden, sollte eine weltweite Lebensmittelknappheit eintreten. Unternehmen wie KSL Television und die Deseret News sind strategisch wichtig für die Kommunikation.

Die Zehntengelder fließen hauptsächlich in fünf Tätigkeitsbereiche:

  • Errichtung von Gotteshäusern und anderen Gebäuden für die Mitglieder in aller Welt. Tausende solcher Gebäude gibt es schon, und es entstehen immer mehr, manchmal mehrere in einer Woche.
  • Durchführung von Bildungsprogrammen, darunter auch Trägerschaft der kircheneigenen Universitäten sowie des Seminar- und Institutsprogramms.
  • Unterhalt des weltweiten Missionsprogramms der Kirche.
  • Bau und Betrieb von fast 140 Tempeln auf der Welt sowie Unterhalt des weltweit größten Genealogieprogramms.
  • Unterstützung des Wohlfahrtsprogramms der Kirche und der humanitären Hilfe, die Menschen überall auf der Welt zugutekommt, ob sie der Kirche angehören oder nicht.

Ab und zu wird, unter anderem auch von Journalisten, versucht, für die Kirche einen Marktwert zu ermitteln, so wie man das Vermögen eines Handelsunternehmens bewertet. Solche Vergleiche werden aber der Sache einfach nicht gerecht. Zum Beispiel müssen sich die Zweigstellen und Niederlassungen eines Unternehmens wirtschaftlich rechnen, während die Gotteshäuser, die von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage errichtet werden, in aller Regel einen Kostenfaktor darstellen. Die Mittel, die dadurch gebunden werden, müssen durch das Spendenaufkommen der Mitglieder in aller Welt gedeckt werden. Betrieb, Instandhaltung und Nutzung der Gebäude können nur so lange fortgeführt werden, wie treue Mitglieder die Kirche unterstützen.

Gelegentlich wird versucht, die Einnahmen der Kirche zu schätzen und zu ermitteln, wie viel davon für die Armen und Bedürftigen aufgewandt wird. Auch damit wird man dem Gesamtbild kaum gerecht. Grundlage der Wohlfahrtsarbeit und der humanitären Bemühungen der Kirche sind christlicher Dienst am Nächsten und Eigenständigkeit.

Die gut 30.000 Bischöfe, die ihre jeweilige Gemeinde leiten, haben unmittelbar Zugriff auf Mittel der Kirche, um Bedürftige zu versorgen und den Mitgliedern zu helfen, wirtschaftlich unabhängig zu werden.

Am Welfare Square in Salt Lake City, wo die Kirche Lebensmittel in Konservendosen abfüllen lässt, die dann in kircheneigenen Warenhäusern angeboten werden, könnte manches durch Automatisierung effizienter gestaltet werden. Doch die Kirche hat sich stattdessen für eine arbeitsintensivere Produktion entschieden, damit mehr Menschen gute Dienste leisten können und Fürsorgeempfänger für die Leistungen, die sie erhalten, arbeiten können. Für ein Handelsunternehmen empfiehlt sich so etwas nicht, es ist aber ratsam, wenn man Hilfe zur Selbsthilfe geben will. Die Kirche will Menschen, die geistige Ziele verfolgen, helfen, materielle Hürden zu überwinden.

Die veröffentlichen Zahlen über humanitäre Maßnahmen geben stets nur in Dollar wieder, was unmittelbar für humanitäre Arbeit aufgewandt wurde. Die Verwaltungskosten trägt die Kirche, und darüber hinaus spiegeln die Zahlen nicht die umfangreichen Leistungen im Bereich Wohlfahrt und Arbeitsberatung wider, mit denen die Kirche weltweit Tausenden hilft. Auch sind darin weder die Sozialmärkte von Deseret Industries erhalten, die auch an andere Wohlfahrtseinrichtungen Marken ausgeben, noch Spenden an Essenstafeln, noch die Arbeit der Missionare im humanitären Dienst oder in der Wohlfahrt, noch die Unterstützung, die anderen Hilfsorganisationen für ihre Aufgaben gewährt wird. Hinter solchen Programmen der Kirche stecken hunderttausende Stunden ehrenamtlich geleisteter Arbeit.

Die Kirche ist dazu da, das Leben der Menschen auf der Welt zu verbessern, indem sie sie an Jesus Christus heranführt. Das Vermögen der Kirche wird auf verschiedene Weise genutzt, um diese Aufgabe zu erfüllen. Für die Mitglieder werden Gebäude errichtet, in denen sie sich versammeln können, um Gottesdienste abzuhalten oder mehr über das Evangelium Jesu Christi zu erfahren. Missionare werden ausgesandt, um jedermann einzuladen, zu Christus zu kommen. Die Mittel der Kirche werden verwendet, um die Bedürftigen mit Nahrung und Kleidung zu versorgen, und um Menschen zu helfen, sich aufzurichten und eigenständig zu werden. Worauf es ankommt, sind nicht die Kosten, sondern das Ergebnis. Wie sagte der ehemalige Präsident der Kirche, Gordon B. Hinckley? "Der einzige wahre Reichtum der Kirche besteht im Glauben ihrer Mitglieder."

Der Versuch, die Kirche als Einrichtung darzustellen, die vor allem darauf aus ist, Geldvermögen anzuhäufen, geht an den Tatsachen völlig vorbei: Die Kirche verfolgt das Ziel, Menschen zu Christus zu bringen, und sie folgt dessen Beispiel, indem sie denjenigen, die Mühe haben, die Last leichter macht. Der Schlüssel zum Verständnis der Kirche liegt darin, dass man sie nicht als weltweit operierendes Unternehmen betrachtet, sondern als den Zusammenschluss von Millionen treuer Mitglieder in tausenden Gemeinden in aller Welt, die Jesus nachfolgen und sich umeinander und um ihren Nächsten kümmern.

Hinweis an Journalisten:Bitte verwenden Sie bei der Berichterstattung über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bei deren ersten Nennung den vollständigen Namen der Kirche. Weitere Informationen hierzu im Bereich Name der Kirche.