Interview

Frerich Görts: "Wir wollen Freunde sein"

 

Lieber Herr Görts, vor uns liegt ein neues Jahr. Was wünschen Sie sich?

Frieden, im Kleinen wie im Großen. Ich hoffe, dass es uns besser gelingt, einander zuzuhören und unterschiedliche Haltungen gelten zu lassen. Mehr Geduld. Mehr Respekt. Und dass wir Christen das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren - die Liebe für Gott und die Sorge um den Nächsten.

Im Jahr 2017 stehen drei Landtagswahlen und die Bundestagswahl an. Die Medien sprechen von einem Superwahljahr. Ergreifen Mormonen Partei?

Unsere Kirche selbst verhält sich in Fragen der Parteipolitik neutral. Wahlempfehlungen werden Sie nicht von uns hören. Wir ermutigen jedoch unsere Gläubigen, verantwortungsbewusste Staatsbürger zu sein und sich in der Politik und im Gemeinwesen zu engagieren. Ich kenne aus meinem persönlichen Umfeld konservative, sozialdemokratische, grüne und liberale Mormonen. Da eine Richtung vorzugeben, widerspräche unserem Selbstverständnis. Kirche soll das christliche Gewissen des Einzelnen schärfen, nicht ihm politische Entscheidungen abnehmen.

Anderen christlichen Kirchen laufen die Gläubigen scharenweise davon. Leere Kirchenbänke sind ein gewohntes Bild. Ihre Kirche verzeichnet hierzulande hingegen ein zwar langsames, aber stetiges Gemeindewachstum. Wie erklären Sie sich das?

Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Der eine fühlt sich zu uns hingezogen, weil er auf der Suche nach einer Gemeinde nach der Vorlage des Neuen Testaments ist. Der andere findet Freude an unserem engagierten Gemeindeleben vor Ort, das ausschließlich von Ehrenamtlern gestaltet wird. Die meisten unserer Gläubigen haben die schlichte Überzeugung gemein, dass Gott ihren Platz in eben dieser Kirche sieht.

Trotzdem sind wir in Deutschland nach wie vor eine kleine Kirche. Wir haben etwa 40.000 Mitglieder. Das entspricht der Einwohnerzahl von Pirmasens oder Buxtehude. In der Eifel haben wir im vergangenen Herbst eine Gemeinde gegründet, im Taunus ein neues Gemeindehaus fertiggestellt.

Darüber, dass Menschen ihr Vertrauen in den christlichen Glauben verlieren und ihrer Kirche den Rücken zukehren, können wir uns nicht freuen, gleich um welche Konfession es sich handelt. Unserer Gesellschaft täte es gut, wieder mehr überzeugte Katholiken und Protestanten zu haben - Menschen also, die sich in die Nachfolge Jesu begeben und den Bedrängten und Bedürftigen beistehen.

Zwei Theologen haben kürzlich in einer Publikation den Mormonen das Christsein abgesprochen. Wie reagieren Sie darauf?

Gelassen. Wir wissen ja, dass Jesus Christus im Mittelpunkt unserer Lehre und unseres Gottesdienstes steht. Die Theologen der großen christlichen Konfessionen fühlen sich an die Beschlüsse nachbiblischer Konzile gebunden, wir nicht. Darin besteht der Unterschied. Wir fassen den Begriff des Christseins weiter und betrachten jeden, der an Jesus Christus als Sohn Gottes und Erretter der Menschheit glaubt und Ihm nachfolgt, als Christen.

Wie steht es um Ihr Verhältnis zu anderen christlichen Kirchen?

Von Joseph Smith, dem Gründungspropheten unserer Kirche, stammt der Satz: "Freundschaft ist einer der großen und grundlegenden Leitgedanken des Mormonismus." Wir wollen Freunde sein. Darum bemühen wir uns um freundliche und respektvolle Beziehungen zu unseren Mitchristen in anderen Kirchen, aber auch zu Menschen aus anderen Religionen und solchen ohne Glauben. In Frankfurt am Main war die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage Gründungsmitglied des Rates der Religionen. Auch andernorts beteiligen sich unsere Gemeindem am interreligiösen Dialog.

Wie kommt diese Freundschaft zum Ausdruck?

Im Umgang mit Anderen. Einige Beispiele: Unsere Gemeinden Friedrichsdorf und Usingen haben anlässlich der Fertigstellung ihres neuen Gemeindehauses ein Benefizkonzert veranstaltet. Der Erlös kam dem Haus Mirjam zugute, einem Wohnheim der Nieder-Ramstädter Diakonie für Menschen mit Behinderungen. In Hanau haben unsere Gläubigen kürzlich bei ihrer Adventsfeier Geschenke für das Franziskus-Haus gesammlt, eine ökumenische Einrichtung der Wohnungslosenhilfe. In Stade haben Mormonen zusammen mit Jugendlichen der Ahmadiyya Muslim Jamaat vor wenigen Tagen Straßen gekehrt und Böllerreste der Silvesternacht beseitigt.

Das Jahr 2017 ist Reformationsjahr. Betrifft das Ihre Kirche?

Die Landesregierung hier in Nordrhein-Westfalen hat die Bestimmung des diesjährigen 31. Oktobers zum Feiertag damit begründet, dass das Reformationsjubiläum "nicht nur für das protestantische Christum, sondern für die Gesellschaft als Ganzes ein historischer Tag" sei. Dem kann ich nur zustimmen. Wir Mormonen empfinden für Martin Luther und andere Reformatoren eine besondere Wertschätzung. Sie haben Freiheiten errungen, die es späteren religiös Bewegten erst möglich machte, ihre Gedanken zu entfalten. Auch eine Wiederherstellung der ursprünglichen christlichen Praxis, wie sie von uns geglaubt wird, wäre ohne die Reformation nur schwerlich denkbar.

Warum schicken Sie Missionare nach Deutschland?

Unsere Kirche entsendet junge Leute sowie Ehepaare im fortgeschrittenen Alter aus dem Ausland als Missionare nach Deutschland, aber auch von Deutschland ins Ausland. Manche Missionare bleiben im eigenen Land. Sie kommen mit Menschen, denen danach ist, ins Gespräch über die großen Fragen des Lebens: Wer bin ich? Was ist der Sinn meines Daseins? Wie finde ich Glück? Gibt es einen Gott?

Unsere Missionare drängen sich nicht auf. Sie machen ein Angebot. Mancher ist dankbar und empfindet die Begegnung mit den Missionaren als bereichernd. Dass andere das anders sehen, respektieren wir.  

Dieses Jahr befassen Sie sich in den Gesprächskreisen der Sonntagsschule mit der Geschichte Ihrer Kirche. Gegründet wurde die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage im Jahr 1830. Was können Ihre Gläubigen aus einer so jungen Kirchengeschichte lernen?

Dass Gott in alter Zeit und heute zu Menschen spricht. Dass Menschen mit Gott an ihrer Seite Großartiges vollbringen können. Dass Menschen in ihrem Bemühen, Gottes Willen zu erkennen und danach zu handeln, scheitern können. Und dass jedes Scheitern ein Anlass zum Neubeginn ist.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Görts.

Frerich Görts aus Düsseldorf ist der Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Deutschland. Der ehemalige Staatssekretär im Bundesministerium für Post und Telekommunikation engagiert sich für seine Kirche im gesellschaftlichen Dialog. Außerdem koordiniert er die Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinden und schult Ehrenamtliche.

Zusätzliche Quelle

Hinweis an Journalisten:Bitte verwenden Sie bei der Berichterstattung über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bei deren ersten Nennung den vollständigen Namen der Kirche. Weitere Informationen hierzu im Bereich Name der Kirche.